Salzburg Lecture Performance
Universität Salzburg: Re-Stagings of Don Juans / Theatrale (Re-)präsentationen in Tanz, Musik und Kunst der 1920er Jahre – Vorträge und Lecture Demonstrations, 16.–17. Mai 2014
Die theatrale Figur des Don Juan und deren Körperlichkeit im zeitgenössischen Tanztheater
von Irina Pauls – eine Herangehensweise
Lecture Performance (mit Studierenden der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik am Carl Orff Institut der Abteilung Musikpädagogik an der Universität Mozarteum Salzburg)
Die erste Einladung an mich nach Salzburg an das Carl Orff Institut der Universität Mozarteum 2009 führte zu einer kontinuierlichen produktiven Zusammenarbeit zwischen der dort angesiedelten Performancegruppe „Das Collectif“ und mir als Choreografin.
Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf einem zeitgenössischen Zugang zum umfassenden künstlerischen Schaffen von Carl Off, wobei die Synthese von Musik, Bewegung und Sprache die zentrale Rolle spielt. Dieses „crossover“ ist bei Carl Orff werkimmanent. Unsere künstlerischen Interpretationen suchen dabei nach einer Körperlichkeit im zeitgenössischen Sinne, nach der Verknüpfung von zeitgenössischem Tanz und der Musik von Carl Orff. In der Werkrezeption wird auf diese Weise das Unbekannte im Bekannten sichtbar.
Seit 2012 haben sich zusätzlich etwa 15 Studierende der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik des Institutes mit dieser Arbeitsweise vertraut gemacht. In einem auf drei Jahre angelegten Entwicklungsprozess entstanden Szenen zu den „Carmina Burana“ von Carl Orff, die von prägnanten Kompositionsprinzipien Carl Orff‘s inspiriert waren, einzelne Motive des Werkes in den Vordergrund stellten und sie phantasievoll bearbeitet haben. Eine Erweiterung der künstlerischen Mittel ergibt sich aus der umfassenden musikalischen Bildung der Studierenden. Die starken rhythmischen und perkussiv-repetitiven Elemente in Orffs Werk können in Kenntnis der Werkzeuge des zeitgenössischen Tanzes ihren speziellen körperlichen Ausdruck finden.
Das kann eine Suche nach dem Körper in der Musik oder der Musik im Körper sein.
Dieser im Vorlauf langandauernde Verständigungsprozess während unserer künstlerischen Arbeit machte es möglich, in einer neunzigminütigen Lecture Performance meine Herangehensweise für eine Stückentwicklung im Bereich des zeitgenössichen Tanzes in Ansätzen zu zeigen.
In den Proben und meinen Unterrichten in Elementarer Komposition Tanz mit den Studierenden erweist sich die Form der Kommunikation als richtungsweisend für den gesamten künstlerischen Prozess. Unabhängig von der Kenntnis und persönlicher Verarbeitung bestimmter Fachtermini in Tanz, Theater und Musik geht es mir darum, für alle im Studio Arbeitenden eine Atmosphäre des „geschützten Raumes“ zu kreieren, in der
die individuelle Phantasie ihren freien Lauf nehmen kann. Nur aus dieser Sicherheit heraus, verbunden mit dem Vertrauen in meine Person ist es den Studierenden möglich, in einer Lecture Performance spontan auf meine Ideen zu reagieren, in sich selbst zu suchen und mit sich zu Ungewohntem zu finden.
Die Annahme, dass die teilnehmenden Studierenden hier die Rolle der Tänzerinnen meines Ensembles einnehmen, fordert mich als Choreografin in besonderem Maße.
Denn auch für mich ist die Formulierung einer Arbeitsaufgabe immer wieder ein Tasten, der Versuch über die Abstraktion der Sprache in den Körper jedes Einzelnen vorzudringen, assoziativ und dennoch sinnlich anzuregen, auf einem für mich neu abzuschreitendem Terrain:
Als Choreografin befinde ich mich zwischen Erläuterungen meiner künstlerischen Arbeitsansätze aus meiner künstlerischen Biografie heraus und dem direkten Anleiten der Darstellerinnen. Ich trete in die Rolle der Lehrerfigur.
Die Lecture Performance soll konkret Einblicke in den kreativen Prozess meiner choreografischen Annäherung an die Figur des Don Juan für eine gedachte Stückentwicklung im Bereich Zeitgenössischer Tanz/Tanztheater vermitteln.
Ich konzipiere für eine drei Seiten Sichtachse der Zuschauer im Studiobühnen-Charakter. Die konzeptionelle Einführung für die teilnehmenden Studierenden ist vorausgesetzt. ( Rezeptionsgeschichte der Figur des Don Juan im Theater und Tanz, die persönliche Sichtweise der Choreografin auf die Figur als Anlass für die gemeinsame Arbeit sowie die Einführung in das Format einer Lecture Performance).
Die Versuchsanordnung ist, mich im Moment mit meinem (Fach)- Vokabular den Studierenden zu vermitteln, um meine künstlerische Sicht auf die Figur des Don Juan in zwei verschiedenen Szenen sichtbar werden zu lassen, zu performen. Das Mischen von Wissen und Nichtwissen beginnt.
Grundlagen:
- die Bewegungsstudien nach Rudolf von Laban und deren weiterführenden Konzepte
- die ästhetischen Prinzipien des Tanztheaters
- ein Pool an gemeinsamen Begrifflichkeiten und erste Erfahrungen in Bewegungskomposition und Improvisation der Studierenden
Meine konzeptionellen Überlegungen:
Inspiriert von Kierkegaard möchte ich die Figur des Don Juan durch eine schnelle Aneinanderreihung von Momenten der Begierde zeichnen: Rasend durch die Zeit, einnehmend und beanspruchend im Raum , spontan und impulsiv, einer Kontinuität und Kausalität entbunden. Alle anderen Figuren werden nur sichtbar durch die schöpferischen und zerstörerischen Kräfte des vom Eros Getriebenen.
In der Studiengruppe des 6. und 8. Semesters des Bachelorstudienganges am Carl Orff Institutes studieren keine Männer. Ich arbeite mit den Frauen im Alter von 19 bis 23 Jahren. Mich interessiert dabei die Abstraktion der Figur auf eine Körperlichkeit, die durch die individuelle Suche der Darstellerinnen in ihrer Körperbiografie deutlich wird.
Arbeitsweise:
Über spezifische Improvisations-Aufgaben finden die Tänzerinnen zu den für mich interessanten Bewegungsqualitäten für eine szenische Entwicklung. Gemäß der Theorie des Tanztheaters suche ich das spezielle Körperverständis herauszuarbeiten und den individuellen Zugang zur Aufgabe durch Beobachten und Beschreiben zu verstärken.
Die sich daraus ergebende Wechselbeziehung zwischen Darstellerin, der Gruppe und mir modifiziert die Ausgangsidee ständig. Dieser Prozess lässt sich jedoch in der Lecture Performance nur sehr marginal darstellen. Hierfür fehlt das Faktor zeitliche Tiefe.
Durch klare, schnelle Entscheidungen entsteht aber dennoch ein Ablauf, der wiederholbar gemacht wird.
Erste Aufgabe
A
- Schritte vorwärts: groß, weit, energetisch stark, intensiv
- Raum: gesamten Raum ausnutzen, die Zuschauer bilden keine Grenze, keine Kurven,
klare Richtungswechsel - Focus auf: das eigene Körpergewicht, Kontakt zum Boden spüren, Körperzentrum fließt ständig, keine Pausen
- Beziehung: Arbeit in der Gruppe- klar im eigenen Raumweg
- Ausstattung: jede Tänzerin trägt ein Paar grobe schwere Stiefel bei sich (Knobelbecher)
B
- Fall down: zum Boden stürzen
- Raum: direkt am selbst gewählten Platz
- Focus auf: Gewicht aus dem Stand in den Boden fallen lassen- release
- Beziehung: Arbeit in der Gruppe, selbst gewählter Ort im Raum
- Ausstattung: Stiefel als reales Gewicht in den Fall einbeziehen
Kombination von A und B
- Phrasierung: selbst gewählt
- Focus auf: Sound der fallenden Stiefel als Klangqualität einbeziehen, wachsam mit dem Wechsel von Fluss und Stop umgehen, Raum maximal ausnutzen
Zweite Aufgabe
A
- kleine Sprünge: schnell, von beiden auf beide Beine, von beiden auf ein Bein, von einem auf beide Beine
- Raum: innerhalb eines vorgestellten kleinen Rechtecks
- Focus auf: Bewegungsphantasie, Wendigkeit, verschiedene Rhythmisierung, sinnvolles Zusammenwirken von „up and down“
- Beziehung: Arbeit in der Gruppe, Konzentration auf sich selbst
- Ausstattung: jede Tänzerin trägt ein Männerhemd mit sich
- Musik: W. A. Mozart, Champagner- Arie aus „Don Giovanni“
B
- Still stehen
- Raum: am Platz
- Focus auf: Blick konzentriert im Raum, Körper entspannt, die eigene Präsenz im Raum spüren
- Beziehung: Arbeit in der Gruppe, den Raum wahrnehmen
- Ausstattung: das Männerhemd überstreifen
Kombination A und B
- Phrasierung: selbst gewählt
- Focus auf: energetische Wechsel, Wechsel zwischen Innen- und Außensicht
Das Erfinden ist stark beeinflusst vom Kontakt zu den Zuschauenden und dem, was daraus entsteht. Was davon reflektieren wir? Interessant ist, dass mit den Studierenden nichts vorbereitet ist und so eine weitgehende Authentizität entsteht. Auf diese Weise und durch meinen Willen zur Vermittlung haben die Zuschauer direkten Einblick in die Gedankenwelt und Arbeitsweise. Als Künstlerin beschäftige ich mich mit meinem eigenen Kunst-System. In der Reflektion über das eigene Tun zeigt sich die Rezeptions-Idee.
Die der dargestellten Probenarbeit folgenden Fragen der Zuschauer bezogen sich im Wesentlichen auf meine choreografische Arbeit und beleuchteten Details meiner Arbeitsweise. Das war für mich außerordentlich interessant, denn es war mein Anliegen und hat für mich als Ergebnis funktioniert, dass die Zuschauer an meiner Interpretation und künstlerischen Sicht auf die Figur des Don Juan viel stärker interessiert waren als an der pädagogischen Arbeit. Unerwartet war der besondere Umgang mit Mozarts Musik. Die eigene musikalische Phrasierung zwischen Bewegung und Stille der Tänzerinnen im Zusammenwirken mit der klar strukturierten und bekannten Arie förderte für die Zuschauenden die Wahrnehmung eines starken spontanen Eigenimpulses.
Für mich wurden in beiden Aufgaben als Ansatz folgende Qualitäten der Figur sichtbar:
Starke Energie, Entscheidungsfreude, Spontanität, Impulsivität durch plötzliche Tempiwechsel, Übersicht im Raum, physische Präsenz
Die Studierenden haben im Nachgespräch mit mir folgende Erfahrungen beschrieben:
"Die Nähe der Zusehenden war anfänglich sehr schwierig, diese wurde im Verlauf der Lecture Performance aber immer besser von ihnen angenommen. Das betraf den Umgang mit dem Raum ebenso wie die Freiheit zur Bewegungserfindung."
Ihr Energiehaushalt war nicht ausgeglichen. Am Anfang wurde mit viel zu hoher Energie gearbeitet. Schnell entstand ein Moment der physischen Erschöpfung, mit dem die Studierenden sehr unterschiedlich umgegangen sind.
Die Musik hat sehr stark unterstützt, daraus haben die Tänzerinnen Energie gezogen. Günstig war, dass diese Aufgabe an zweiter Stelle stand und sich dadurch ein „Hilfsmittel“, eine Einbettung ergeben hat, die den eigenen geschwächten physischen Zustand aufwiegen konnte. Die Musik war dem großen Teil der Studierenden unbekannt.
Die Handhabung sowohl der Stiefel als auch des Männerhemdes waren außerordentlich schwierig für die Darstellerinnen. Eine sinnvolle Integration dieser körpererweiternden Gegenstände in die Bewegungsabläufe hat ihre Konzentration am stärksten beansprucht.
Für sich selbst waren die Studierenden nach den sechzig Minuten gerade am Beginn. Vom spielerischen, freien Umgang mit der Aufgabe waren sie noch weit entfernt und hätten gern noch weiter mit dem Material probiert.
Das ich mich mit einer der gestellten Aufgaben innerhalb eines realen Probenprozesses wenigstens sechs Probentage beschäftigen würde, dieses sich aber innerhalb einer Lecture Performance nicht realisieren lässt, hat sich den Studierenden sehr gut erschlossen.